„Nein, so wie ihr würde ich nicht leben wollen!“ Unser Nachbar auf der Insel Saliba, ein älterer Herr, war entsetzt. Ich hatte ihm erzählt, dass wir in Österreich die allermeisten Dinge kaufen und dass Besitzrechte für uns wichtig sind. Dass man nicht einfach irgendwo im Wald einen Baum fällen oder den Kürbis aus Nachbars Garten nehmen kann, das sehen die Saliba auch so. Der große Unterschied aber ist, dass die Saliba im ihren Dörfern weitgehend ohne Geld leben können.
Meistens wird per Tausch „gehandelt“, wobei zwischen dem Tauschen von Dingen und Leistungen einige Zeit liegen kann. So haben wir gelernt, genau wie die Saliba über Geben und Nehmen im Kopf Buch zu führen. Dabei versuchen wir aber, so wie bei ihnen üblich dem anderen mehr zu geben, als wir empfangen haben, damit nicht wir bei ihm, sondern er bei uns in der Schuld steht.
Einmal haben wir für den Besitzer eines lokalen Frachtbootes eine neue Starterbatterie aus der Provinzhauptstadt Alotau beschafft. Das war nicht billig, und ich hatte ein mulmiges Gefühl dabei. Wurden wir ausgenutzt?
Nicht sehr viel später brauchten wir einmal dringend ein Boot, um nach Alotau zu kommen. Der Bootsbesitzer änderte seine Pläne für diesen Tag und stellte uns sein Boot großzügig zur Verfügung. Seine Begründung: Wir hatten ihm geholfen. – Auf diese Weise entstehen bei den Saliba Freundschaften.
Ich muss zugeben, dass es mir auch nach zwanzig Jahren noch nicht ganz gelingt, nach diesem auf Gegenseitigkeit beruhenden System der Saliba zu leben. Ich finde es anstrengend, wenn ich mir merken muss, wem ich was gegeben habe, und gegenüber wem ich somit ein Anrecht auf Gegenleistung habe – und wo ich von jemandem Hilfe bekommen habe und daher bei ihm in der Schuld stehe. Aber wo ich es schaffe, mich an das soziale Miteinander anzupassen, gewinnen die Beziehungen zu den Saliba eine neue Qualität.
– von Rainer Oetzel