Kennen Sie das? Sie lesen einen Roman, und plötzlich stolpern Sie über eine Redewendung. Sagt man das wirklich so? Nein, da wurde ein englischer Ausdruck irrtümlich wörtlich übersetzt. Die deutsche Sprache ist schon lange standardisiert, und richtiges Deutsch lernen wir in der Schule und aus Büchern. Wie ist das aber in Minderheitssprachen, die erst vor kurzem verschriftet wurden?
Ich denke da an die Saliba-Sprache in Papua-Neuguinea, in der meine Frau und ich seit 1996 arbeiten. Diese Sprache wird von rund 2 700 Menschen gesprochen. Erst 1997 wurde mit ihrer Verschriftung begonnen. Allerdings werden die Kinder in der Schule vorwiegend auf Englisch unterrichtet, und Saliba-Lesematerial ist nur begrenzt vorhanden. Woher wissen die Saliba nun, was richtiges und gutes Saliba ist?
Einen wesentlichen Beitrag dazu liefert die Übersetzung des Neuen Testaments, bei der wir seit vielen Jahren mithelfen. Für diese Arbeit haben die Saliba-Kirchgemeinden Mitarbeiter als Übersetzer ausgewählt, die aus ihrer Sicht u.a. ein gutes Sprachgefühl haben.
Die fertige Übersetzung muss aber nicht nur gut klingen, sondern auch genau und klar sein. Darum wird die Erstübersetzung drei- bis viermal mit verschieden Saliba-Sprechern geprüft und dazwischen immer wieder von den Übersetzern verbessert. Weil diese sich dabei ständig mit ihrer Sprache beschäftigen, konnten sie ihre Kenntnisse über die Jahre immer weiter verfeinern. Einige haben richtiggehend Sprachforschung betrieben, indem sie ältere Sprecher nach der genauen Bedeutung von wenig bekannten Wörtern gefragt haben. Mit der Zeit haben sie auch dafür ein Gefühl entwickelt, wie sich geschriebene Sprache von gesprochener unterscheiden muss. Oft fällt bei der Arbeit der Satz: „Wir reden zwar so, aber schreiben können wir das nicht.“
In den sorgfältig formulierten Texten der Übersetzung wird die Sprache dokumentiert und dadurch der natürliche Sprachwandel ein Stück weit gebremst. Zugleich wird die Sprache weiterentwickelt, weil in der Übersetzung des Neuen Testamentes auch seltene Ausdrücke und grammatikalische Formen verwendet werden. Unter den Saliba sind die Übersetzer heute anerkannte Fachleute für ihre Muttersprache. Ein Saliba-Pastor meinte sogar, niemand würde so gutes Saliba sprechen wie sie!
– von Rainer Oetzel