Der englische Originalartikel von SIL, einer Partnerorganisation von Wycliff, erschien auf:
https://eurasia.sil.org/topics/orthography/the_road_to_easy_reading

Schneefläche, ein Mann mit dunkler Jacke steht darin, hinter ihm Rentiere und ein Schlitten. Sie werfen lange, blaue Schatten.
Foto: SIL Eurasia

Alphabete sind eine seltsame Sache. Die Menschen hängen an ihnen, sogar da, wo sie teilweise keinen Sinn ergeben. Beispielsweise kann der Buchstabe V im Deutschen für zwei verschiedene Laute stehen: W und F. Wäre es da nicht einfacher, zu buchstabieren: Fogel, Wentilator, Ferkäuferin? Wie würden Sie sich mit so einer Vereinfachung fühlen? Sehen sie das theoretische Problem, hängen aber dennoch irgendwie an der komplizierteren Schreibweise?

Das Alphabet des Volkes der Chanten im nordwestlichen Sibirien steht vor mehreren Problemen, vor allem einem, das ein finnisches Teammitglied so erklärte:

„… auf Finnisch können wir sagen:

tule (komm! – als Aufforderung),
tuule (die Aufforderung, dass Wind wehen soll),
tulee (er/sie kommt),
tuulee (es weht),
tullee (er/sie kommt vielleicht),
tuullee (es weht vielleicht/wird vielleicht wehen) und so weiter.

Es ist sehr wichtig, die Länge der Vokale und Konsonanten dadurch anzuzeigen, wie die Worte geschrieben sind, sonst wäre der Text schwer verständlich. Das offizielle Alphabet des finnisch-ugrischen Chantischen besitzt die gleichen langen und kurzen Vokale und Konsonanten, aber es macht bei seiner Rechtschreibung keinen Unterschied zwischen ihnen, was das Lesenlernen schwierig macht.“

Eine Gruppe von Linguisten und Lehrkräften haben sich dieses Problems angenommen und unter der Schirmherrschaft der Universität Nowosibirsk eine einfache Art entwickelt, die Vokale unterschiedlich zu markieren. SIL hat sie beim Gestalten und Schreiben von Lesefibeln unterstützt. Nach getaner Arbeit stellte sich die Frage, ob die Chanten diese Änderung akzeptieren würden.

Die Winterstraße

Elsa (die Beraterin von SIL) erzählt die Geschichte, wie vor einigen Jahren Sveta, eine Linguistin, und Valentina, eine Lehrerin, aus diesem Grund in zwei Schulen gereist sind:

Unsere Fahrt von Salechard aus südwärts auf der Winterstraße bis zu den chantischen Dörfern Muzhi und Ovgort hätte niemals unkompliziert sein können. Schließlich handelt es sich bei der Winterstraße um den gefrorenen Fluss Ob, und jede Reise darauf ist im besten Fall unbequem und im schlimmsten tödlich. Doch als unvorhergesehene Faktoren erwiesen sich diesmal in Wirklichkeit die Grippe und steigende Temperaturen, die uns verfolgten, während wir immer weiter die Eisstraße entlangkurvten.

Sechs Comicpanels mit Strichzeichnungen eines Kindes: Ein eingemummter Mann hilft einem Rentier.
Foto: SIL Eurasia

Als wir in Muzhi ankamen, erfuhren wir, dass die Grippe vor uns dort hingelangt war, und die Schule, die wir besuchen sollten, vor Quarantänemaßnahmen stand. Jedoch konnte unser Besuch noch stattfinden.

Sveta nahm ihren Platz im vorderen Teil der Klasse ein und sprach die 13 Kinder von neun bis zehn Jahren an, die aufrecht und aufmerksam dasaßen, die Arme vor ihnen auf dem Tisch verschränkt. Während sie klar die neue Art vorstellte, lange und kurze Vokale zu kennzeichnen, wenn man chantische Worte schreibt, erhellte neues Verständnis die Gesichter der Kinder. Rasch hatten sie die Informationen aufgenommen und meldeten sich eifrig, um Worte an die Tafel zu schreiben. Am nächsten Tag hielt ihr Enthusiasmus an, während Valentina mithilfe von Bildern die biblische Geschichte des verlorenen Schafes erzählte. Die Kinder zeichneten die Geschichte als Bilderserie mit Untertiteln. Manche von ihnen entschieden sich dafür, lieber fantasievoll über das verlorene Rentier zu schreiben! Es ermutigte uns zu sehen, dass viele von ihnen beim Schreiben die neuen Vokalmarker benutzten.

Wettrennen mit der Grippe

Wir fuhren weiter die Winterstraße entlang. 225 km von Salechard kamen wir zum Internat in Ovgort. Die Grippe war vor uns dort angekommen und am Ende unserer ersten Einheit mit den Kindern wurde Quarantäne verhängt. Freundlicherweise erlaubte man uns jedoch, auch die zweite Einheit abzuhalten.

Eine Lehrerin steht vor einer beschriebenen Tafel, vor ihr sitzen zwei Schulmädchen mit heller Kleidung und dunklen Haaren.
Foto: SIL Eurasia

 

Wir arbeiteten mit einer kleinen Gruppe von Kindern zwischen 8 und 14 Jahren, und wie die Kinder in Muzhi begriffen sie unser neues System für Vokalmarkierungen schnell und hatten Freude daran, die biblische Geschichte nachzuzeichnen. Viele Lehrer und auch der Direktor waren anwesend und beteiligten sich hinterher an einer lebhaften Diskussion über das neue Schreibsystem. Die meisten waren dafür, ein paar zurückhaltend.

Die Lehrer planten weitere Schritte. Elsa erzählt:

Als wir Richtung Muzhi abfuhren, waren unsere Herzen abermals voller Dankbarkeit für diese wunderbaren Lehrer, ihre Vision für die chantische Sprache und ihr Verantwortungsbewusstsein dafür, ihre Sprache lebendig und gesund zu erhalten.

MITMACHEN: BETEN

Wir laden Sie ein, zu beten,
dass Gott diese Anfänge weiterführt
und sich die verbesserte Schreibweise
unter den Chanten immer mehr verbreitet.

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