Eine Stadt im Nahen Osten. Die meisten Frauen sind unverhüllt unterwegs und eine aufgeschlossene, fast sorglose Atmosphäre liegt in der Luft. Doch die scheinbare Freiheit täuscht. Terror, Krieg und Vertreibung haben ihre Spuren hinterlassen. Tiefe seelische Wunden haben viele Menschen innerlich so zerstört, dass sie nun selbst beginnen, andere zu verletzen. Gewalt ist extrem häufig. Junge Frauen und Mädchen sind besonders gefährdet, und die Anzahl der Selbstmorde ist schockierend hoch. Diese Stadt schien deswegen der richtige Ort, um einen biblisch basierten Kurs zu Traumabewältigung anzubieten.
Der Kurs wurde im Winter 2018 in einer im Nahen Osten weitverbreiteten Sprache abgehalten. Das Material war erst vor Kurzem in sie übersetzt worden. Für manche Teilnehmer war diese Sprache ihre Muttersprache, andere hatten sie gelernt, um Menschen in dieser Region helfen zu können. Alle verband sie der starke Wunsch, den Verletzten Heilung zu bringen. Das im Kurs Gelernte sollten sie später anderen weitergeben.
Die Heilung der Heiler
Gemeinsam gingen die Teilnehmer den Kurs durch und ließen die Fragen an sich heran, auf die traumatisierte Menschen eine Antwort finden müssen: Wie können die Wunden unserer Herzen geheilt werden? Wenn Gott uns liebt, warum leiden wir dann? Wie können wir anderen vergeben?
Jeder und jede versuchte, in einem an Gott gerichteten Klagebrief den eigenen Kummer und Ärger in Worte zu fassen. In einer symbolischen Handlung ließen sie gemeinsam ihren Schmerz los: Sie schrieben ihre seelischen Verletzungen auf Papier nieder und kamen dann am Flachdach des Hauses zusammen. Dort verbrannten sie die Papiere, eines nach dem anderen, während Bibelstellen vorgelesen wurden.
Die Stufen der Traumabewältigung zu durchleben war eine extrem wichtige Erfahrung für die zukünftigen Kursleiter. Sie mussten erst ihren eigenen Schmerz verarbeiten, bevor sie anderen helfen konnten. Während die Teilnehmer die Lektionen durchgingen, fühlten sie sich immer besser gerüstet für die Aufgaben, die vor ihnen lagen. Und so entstanden nach Ende der Schulung weitere Traumaheilungsgruppen im Nahen Osten und darüber hinaus. So wie die Jünger Jesu zu den Enden der Erde gingen, brachten die Kursteilnehmer Heilung zu verschiedensten Menschen: von Flüchtlingsgemeinschaften im Nahen Osten bis hin zu einzelnen, von christlicher Gemeinschaft isolierten Menschen, die man nur übers Internet erreichen konnte. Die Gruppen berührten Christen, Muslime und Eziden (Jesiden), Männer und Frauen, Menschen mit höherer Bildung und Analphabeten.
Den Teufelskreis durchbrechen
Drei Frauen boten eine Heilungsgruppe in einer sehr instabilen Region im Nahen Osten an. Alle Teilnehmerinnen waren Frauen mit verschiedenen christlichen Hintergründen. Manche folgten Jesus schon ihr ganzes Leben lang nach, andere waren noch junge Gläubige, die im Glaubensleben Schwierigkeiten hatten. Für alle wurde die Heilungsgruppe eine Art Familie, in der sie Lasten abladen und weinen konnten, ein Ort, an dem sie einander auch manche ihrer tiefsten Verletzungen anvertrauten. Eine der Teilnehmenden war Rima*, eine junge Frau aus Syrien, die das Trauma von Krieg und Vertreibung erlitten hatte. „Die Heilungsgruppe war wie ein winziger Tropfen frischen Wassers mitten in einer sehr dürstenden und trockenen Wüste“, sagte sie. Durch die Liebe, die ihr in der Gruppe entgegengebracht wurde, begann sie, sich Jesus zu öffnen und ihm näher zu kommen.
Für Maryam*, Akademikerin und langjährige Jesus-Nachfolgerin, waren die Lehreinheiten ein wichtiger Schritt auf ihrer geistlichen Reise: „Ich habe gelernt, dass ich Gott vergeben kann. Nicht, als ob er meine Vergebung bräuchte, aber ich musste meinen Ärger auf ihn loslassen, darüber, was er in meinem Leben zugelassen hatte.“
Zahra* hielt während der Abschlussfeier der Gruppe eine völlig verblüffende, aber auch sehr denkwürdige Ansprache: „Mein Herz war voller schmerzhafter Erinnerungen und es war kurz davor, zu explodieren. Doch über meine Erinnerungen zu reden, half mir, die Spannung loszulassen, die in mir war. Ich fühlte mich nachher so friedlich. Und jetzt danke ich den Menschen des IS, denn hätte es sie nicht gegeben, wäre ich euch nicht begegnet, und mein Leben hätte sich nicht so verändert, wie es sich verändert hat.“
In der Stadt im Nahen Osten leiden immer noch Abertausende Menschen unter Traumatisierung und haben niemanden, an den sie sich wenden können. Doch für einige Menschen ist das Leben ein wenig heller geworden durch das, was sie in einer Traumaheilungsgruppe gelernt und erlebt haben. Und alle, die diese Verwandlung erfahren haben, haben nun die Chance, den Teufelskreis aus Trauma und Missbrauch zu durchbrechen. Sie, die vom „Gott allen Trostes“ (2. Kor 1,3) getröstet wurden, können nun andere trösten, die noch leiden.
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* Pseudonyme
Der Artikel ist aus dem Englischen adaptiert – mit freundlicher Genehmigung von SIL, einer Partnerorganisation von Wycliff.